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Politikum Islam

  • Urteilen oder Anerkennen?

In der Geschichte bis heute kann man bei den muslimischen Völkern wie in anderen Kulturen feststellen, dass soziale gesellschaftliche Missstände und Machtinteressen über Religion ausgetragen wurden. Bildungsniveau und Identitätskomplexe spielen hier eine große Rolle.

Die von islamischen Befreiungstheologen im letzten Jahrhundert erwachsene Aggression hat sich bei einer handvoll religiöser Menschen, die ihre Religion lernen und leben wollten, niedergeschlagen. Und da die allgemeine Aufklärung über den Islam in diesen Regionen stark vernachlässigt wurde, wurde der religiöse Freiraum von diesen besetzt, was bei manchen Bevölkerungsteilen zu einer destruktiven Denkweise führte. Als Folge neigt ein Teil der Muslime dazu, von einem Extrem ins andere Extrem zu fallen.

Demgegenüber wurde durch Said Nursi in der Türkei eine weitgehende Kultur der Ausgewogenheit geschaffen. Said Nursi betont:

„Niemals darf der Islam weder für Parteilichkeiten noch für politische Ziele instrumentalisiert werden. Sonst wird die Würde der Religion mit Füßen getreten."

Trotzdem gibt es selbst bei denen, die sich zu den Ideen Said Nursis bekennen, einige Gruppen, die die Ausführungen Said Nursis zum Verhältnis von Religion und Politik relativieren, für das eigene radikale Religionsverständnis. Oder anderes wird ignoriert. Betrachten wir insbesondere einmal den Koranvers: „Die nicht nach dem urteilen was Gott herabgesandt hat, das sind die Ungläubigen ... (5, 44). Alle islamischen Staatsideologen argumentieren mit diesem Koranvers.

Obwohl die Verse 5, 42-479 an die Juden und Christen gerichtet sind, haben sie selbstverständlich auch für die Muslime Geltung. Vor allem der Vers 44 „... Die nicht nach dem urteilen (herrschen), was Gott herabgesandt hat, das sind die Ungläubigen", wird von politisch orientierten Islamgruppen vielfach zitiert und gebraucht als Basis ihrer Ideologie und für ihren Kampf und ihre Ablehnung von Verfassungen, Gesetzen, Staats- und Regierungsformen, Kapitalsystemen etc., die ihrer Auffassung nach außerhalb dieses Verses stehen. Deshalb gilt unsere Aufmerksamkeit dieser Aussage.

Schon Anfang des letzten Jahrhunderts nimmt Bediuzzaman in seinem Werk Münazarat („Wortwechsel", Antworten auf die brennenden Fragen in einer bewegten Zeit) aufgrund damaliger Ereignisse und den abzeichnenden Entwicklungen dazu Stellung.

Er verweist auf den ersten Interpreten dieses Verses Ibni Abas, Sahabin10 und Cousin Muhammeds a.s., welcher resümiert:

»Der Vers ist so zu verstehen im Sinne von ,Diejenigen, die nicht anerkennen, die nicht glauben, was Gott herabgesandt hat, das sind die Ungläubigen.’«

Das Wort urteilen ist der entscheidende Faktor. Wenn man das Wort urteilen im Sinne von aburteilen, Richtersprüche tätigen, richten, herrschen, handeln und anwenden versteht, ergeben sich viele Fragen der Umsetzung und Umsetzbarkeit.

Die Schlussfolgerung des Unglaubens allein aufgrund dieser Form der Interpretation des Verses, ist widersprüchlich zu vielen anderen Aussagen des Korans11. Es würde letztendlich bedeuten, dass wenn man ein Gebot, eine kleine Regel nicht einhält, man sich damit gleich des Unglaubens schuldig machen würde.

Einzig das Verständnis des Verses im Sinne von „Anerkennung" kann als Möglichkeit der Deutung in Betracht kommen, um diesen Widerspruch aufzulösen.

Weiteres zur Problematik der Umsetzbarkeit:

Unsere Fragen sind:

1. Ist diese Aussage an das Individuum oder an die Gesellschaft bzw. den Staat, die Regierung und Verwaltung gerichtet?

2. Welche Gebote sind gemeint, nach denen zu urteilen wäre? Nur bestimmte, oder einige Gebote, nur die Gebote in Bezug auf die angesprochenen Gemeinschaften der Juden und Christen?

3. Gibt es Ausnahmen? Wie sieht die Praxis aus in konkreten Situationen? Hat alles in jeder Situation Allgemeingültigkeit?

Die Grenzen der Anwendbarkeit und Umsetzbarkeit sind offensichtlich:

Es gibt nicht für jede Situation ein geoffenbartes Wort. Die Ausformulierungen und Detaillierungen der Gelehrten und islamischen Juristen mögen den Koran interpretieren und erläutern, sind aber niemals mit diesem gleichzusetzen und sind nicht geoffenbartes Wort.
Deshalb sind auch im islamischen Pflichtenkatalog die Gebote unterschiedlich gewichtet. Farth-Gebote beispielsweise beziehen sich auf eindeutige Aussagen des Koran. Sunna-Gebote beschreiben die verdienstvollen Handlungen, die Muslime zusätzlich zu den Farth-Geboten erfüllen mögen, um dem Beispiel Muhammeds a.s.s. zu folgen. Dann erst kommen die Auslegungen und Ausformulierungen der Rechtsschulen und nachfolgend die Empfehlungen von Islamgelehrten.
Vielfach sind die Ausformulierungen der Islamgelehrten situations-, zeit- und ortsgebunden und daher der Wandlung unterzogen und können keinen allgemeingültigen Charakter haben.

Nicht jeder kennt alles umfassend, kann alles in rechter Weise verstanden haben. Das ist nun mal Voraussetzung dafür, dass man danach handeln kann.

Es gibt Gebote, die an die Gemeinschaft gerichtet sind, die dem gemäß ein einzelner Mensch gar nicht erfüllen kann.

Deshalb ist der Vers im Sinne von Anerkennung zu verstehen, wie Ibni Abas es im 7.JH schon in rechter Weise erläutert hat und wie Said Nursi heute daran erinnert.

»Die Zeit des nationalen Hasses und der Feindschaft ist vorbei. Zwei Weltkriege haben gezeigt, welch Zerstörung, Unheil und ungeheures Leid dies bringt und offensichtlich nicht den geringsten Nutzen inne hat.

Die Machenschaften feindselig Gesinnter sollen - solange sie keine gewaltsamen Übertretungen bedeuten – nicht unsere Aversionen auf sich ziehen. Gottes Gerechtigkeit und Gottes Zorn werden genug für sie sein.«

Said Nursi

 

Fußnoten: 

9 Koran Sure 5, 42-47: Sie hören auf Lügen, und sie verzehren unrechtmäßig erworbenes Gut. Wenn sie zu dir kommen, so urteile zwischen ihnen oder wende dich von ihnen ab. Wenn du dich von ihnen abwendest, werden sie dir nichts schaden; wenn du urteilst, dann urteile zwischen ihnen nach Gerechtigkeit. Gott liebt die, die gerecht handeln.
43 Wie können sie dich zum Schiedsrichter machen, wo sie doch die Tora besitzen, in der das Urteil Gottes enthalten ist, und sich hierauf nach alledem abkehren? Diese sind keine (richtigen) Gläubigen.
44 Wir haben die Tora hinabgesandt, in der Rechtleitung und Licht enthalten sind, damit die Propheten, die gottergeben waren, für die die Juden sind, (danach) urteilen, und so auch die Rabbiner und die Gelehrten, aufgrund dessen, was ihnen vom Buche Gottes anvertraut wurde und worüber sie Zeugen waren. So fürchtet nicht die Menschen, sondern fürchtet Mich. Und verkauft nicht meine Zeichen für einen geringen Preis. Diejenigen, die nicht nach dem urteilen, was Gott herabgesandt hat, das sind die Ungläubigen.
45 Und Wir haben ihnen darin vorgeschrieben: Leben um Leben, Auge um Auge, Nase um Nase, Ohr um Ohr, Zahn um Zahn; und auch für die Verwundung gilt die Wiedervergeltung. Wer aber dieses vergibt, für den ist es besser. Diejenigen, die nicht nach dem urteilen, was Gott herabgesandt hat, das sind die Tyrannen (die Unrecht Tuenden).
46 Und Wir ließen nach ihnen Jesus, den Sohn Marias, folgen, damit er bestätige, was von der Thora vorhanden war. Und wir ließen ihm das Evangelium zukommen, das Rechtleitung und Licht enthält und das bestätigt, was von der Thora vor ihm vorhanden war, und als Rechtleitung und Ermahnung für die Gottesfürchtigen.
47 Die Leute des Evangeliums sollen nach dem urteilen, was Gott darin herabgesandt hat. Und diejenigen, die nicht nach dem urteilen, was Gott herabgesandt hat, das sind die vom rechten Weg Abgekommenen (Frevler).     zurück

10 Sahabin bezeichnet die Gefährten des Gottesgesandten Muhammeds a.s.s., die sich zu Lebzeiten Muhammeds zum Islam bekannten und den Gottesgesandten unmittelbar erlebt haben. Aufgrund ihrer Authentizität, der Unmittelbarkeit, wie sie Muhammed a.s.s. erlebt haben und ihres hohen Einsatzes für den Glauben wegen, zählt der Personenkreis der Sahabin nach Muhammed a.s.s. zu den höchsten Autoritäten im Islam. Sie stehen über den Rechtsschulen.  zurück

11 Z. B.: „...die an Gott festhalten und gegenüber Gott aufrichtig in ihrer Religion sind. Jene zählen zu den Gläubigen. Und Gott wird den Gläubigen einen großartigen Lohn zukommen lassen. Warum sollte Gott euch peinigen, wenn ihr dankbar und gläubig seid? Und Gott zeigt sich erkenntlich und weiß Bescheid." Sure 4,146-147   zurück

 
 

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